Zuhause ist der Mann ein genügsames Wesen. Für ihn ist schon Feiertag, wenn er es sich auf dem Sofa gemütlich machen kann. Vor ihm die Tüte Chips, neben ihm die Dose Bier - und im Fernsehen flimmert die Fußball-Bundesliga. Dass er dabei den Jogginganzug aus Ballonseide trägt und nicht das Willi-Bogner-Golfshirt, stört ihn in diesem Moment überhaupt nicht. Das Leben könnte so einfach sein. Wenn da nicht der Golfsport wäre. Denn auf dem Platz mutiert er gerne mal zum Erbsenzähler. Der Versuch einer Verhaltensstudie.
Ein befreundeter Golf-Pro hat mir einmal erzählt: "Die schlimmsten Schüler sind die Ehefrauen, die von ihren Männern zum Golfen gezwungen werden, und die Ehemänner, die auf dem Platz zum Tier werden." Im Großen und Ganzen kann man die Golfer in vier Spezies einteilen: Frauen und Männer, Junggebliebene und Senioren. Der Versuch einer Verhaltensstudie auf deutschen Golfplätzen.
Der Mann
Nehmen wir mal ein Par 5. So eines mit wunderbar breiten Fairways, die geradezu dazu einladen, den Driver mit voller Kraft zu schwingen. In der Hoffnung, dieses Mal endlich die "Longest Drive"-Wertung zu gewinnen. Und da steckt schon der erste Fehler im Detail. Kraft! Der Mann glaubt, die braucht man, um weit zu schlagen. Klingt logisch, ist aber nicht so. Gut, der Mann stellt sich also an den Abschlag, blättert erst einmal in seinem Birdiebuch, blickt dann auf seine nigelnagelneue GPS-Uhr. Und blättert noch einmal in seinem Birdiebuch. Und blickt noch einmal auf seine nigelnagelneue GPS-Uhr. Dann zieht er, für die Umstehenden völlig überraschen, den Driver aus der Tasche. Der Mann macht einen Probeschwung. Und noch einen Probeschwung. Und noch einen Probeschwung. Dann bricht er ab, richtet sich noch einmal neu aus. Soll ja schließlich der Abschlag des Lebens werden. Nach vier weiteren Probeschwüngen scheint alles zu passen. Der Mann holt aus, packt dann doch seine ganze Kraft in den Schlag. Kloing! Die Kugel fliegt, zieht schon nach wenigen Metern nach rechts, nimmt Kurs in Richtung des nebenliegenden Fairways ... Foooore! ... und landet schließlich mitten im Fairwaybunker.
Die Frau
"Oh, armer Schatz!", ruft sie laut. Geheucheltes Mitleid, weil Mitleid ohne Mitleid. "Armer Schatz? Ist er doch selbst schuld", denkt sie nämlich für sich leise. Die Frau stellt sich also an den Abschlag. Sie überlegt nicht lange, nimmt den Driver mit. So wie sie es immer macht. An einem Par 4 wie an einem Par 5. Dann richtet sie sich aus, blickt einmal kurz nach oben. Dorthin, wo die schier unendlichen Weiten des Fairways zu sehen sind. Die Frau schwingt einmal kurz durch, setzt dann zum Schlag an. Butterweich. Grazil. Wie aus dem Bilderbuch. Kloing! Die Kugel fliegt. Kerzengerade. Wie am Schnürchen. Schnurstracks. Die Frau blickt fragend zum Mann. Fast schon peinlich berührt. So als wollte sie ihm gestenreich klar machen, sie wisse gar nicht, wie ihr ein solcher Schlag gelingen konnte. Der Ball liegt Mitte Fairway. Und innerlich lacht sie laut.
Der Junggebliebene
Als Beispiel muss für den Vergleich der Generationen ein Par 3 herhalten. Sagen wir mal knapp 160 Meter, das Grün rechts und links von fiesen Sandbunkern bewacht. Mit jugendlichem Elan geht der Golfer also an den Abschlag. In der Hand das Eisen 7. Damit kann man wunderbar attackieren. Die Fahne mindestens, im besten Fall sogar das Loch. Der Mann spielt schließlich nicht Golf, er kämpft Golf. Dann nimmt er all seine Kraft zusammen, holt aus, schlägt, trifft den Ball. Und der segelt gute 150 Meter, landet am seitlichen Grünrand und kullert in den Bunker. Dann folgen ein missglückter Versuch aus dem Sand, ein Chip eineinhalb Meter vor die Fahne und ein Putt zum Bogey. Das nächste Mal, denkt sich der Junggebliebene wie die anderen 100 Male zuvor auch, lege ich den Ball tatsächlich vor, um zumindest Par zu spielen. Und beim nächsten Mal geht er wieder an den Abschlag. mit jugendlichem Elan und dem Eisen 7 in der Hand ...
Der Senior
Er hat das Loch schon gefühlte 999 Mal gespielt. Und er macht es auch dieses Mal wie diese 999 Mal zuvor. Er nimmt seinen Driver aus der Tasche. Ja, er kann dieses Teufelszeug angeblich dosieren. Der Senior holt aus, aber nur ein kleines bisschen. Quasi so ein Drei-Achtel-Schwung. Er trifft, der Ball fliegt - und landet gut 20 Meter vor dem Grün. Dann folgen ein Pitch, einen halben Meter an die Fahne ran, und ein Putt zum Par. Er lächelt souverän und völlig tiefenentspannt läuft er weiter zum nächsten Loch, einem Par 4. Und wieder zieht er den Driver aus dem Bag ...
Fotos: Stephan Schöttl