Leise Töne auf dem Golfplatz

Sie hören keinen Startschuss, keine Anfeuerung, keine Anweisungen des Trainers und keine Rufe ihrer Mannschaftskameraden. Trotzdem betreiben sie Sport. Spitzensport sogar. Mehr als 10.000 gehörlose Athleten gibt es in Deutschland. Einer davon ist Matthias Becherer, 36, aus Oberstdorf. Als Skifahrer war er in jungen Jahren schon recht erfolgreich, als Golfer ist er es noch immer: Unter anderem ist er amtierender Clubmeister beim GC Oberstdorf – den Titel gewann er schon zum dritten Mal –, in Dänemark wurde er Vize-Weltmeister mit der deutschen Gehörlosen-Nationalmannschaft.

Auf den ersten Blick wird man bei ihm keinen Unterschied zu einem hörenden Golfer erkennen. Schlaglängen, Präzision und Ehrgeiz sind gleich, der Schwung ebenso dynamisch. Und doch muss Becherer auf dem Platz mit besonderen Herausforderungen klarkommen, die ihn in der einen oder anderen Situation auch ein wenig einschränken. Den gängigen und lauten Warnruf „Fore“ zum Beispiel bekommt er erst verspätet durch die Mitspieler mit. Oder eben gar nicht. „Ich bin deshalb tatsächlich schon dreimal von einem Golfball getroffen worden. Und ich kann nur sagen: Das tut verdammt weh“, sagt Becherer lachend.

 

Das Feedback bekommt er lediglich über das Gefühl und die Haptik, nicht über den Klang des Treffers. Dass es ein guter Schlag war, spürt er in den Fingern. Eine Gabe, die den 36-Jährigen weit gebracht hat. Schon dreimal gelang ihm zum Beispiel das Kunststück eines Hole-in-one. Dem perfekten Schlag, auf den andere Golfer ein Leben lang vergeblich warten. Seit 28 Jahren spielt er Golf, als Achtjähriger kam er über seine Eltern zu diesem Sport. Und er war von Beginn an Feuer und Flamme. „Das dauernde Streben nach Perfektion ist für mich die Faszination. Es ist die Herausforderung, die immer wieder unterschiedlichen Verhältnisse auf charakteristisch völlig verschiedenen Plätzen mit einem guten Schlag zu meistern“, sagt er. Mittlerweile zählt der Oberstdorfer, der in seinem Heimatort als Hausmeister in einem Vier-Sterne-Hotel arbeitet, mit Handicap 3,6 zu den besten Golfern des Allgäus.

Man fühlt sich ein wenig wie ein U-Boot unter Wasser

Becherer ist einer, der auf dem Golfplatz nie mit seinem Schicksal hadert. Einer, der mit viel Witz bei den Mitspielern und Freunden ankommt. Lachend sagt er auf die Frage nach seiner Stärke: „Die Ruhe auf dem Platz.“ Im nächsten Atemzug schiebt er gleich wieder ernst hinterher: „Meine Stärken liegen bei den langen Schlägen, das kurze Spiel ist immer noch ausbaufähig.“ Bis auf den entscheidenden Chip am Extraloch zum Clubmeistertitel 2018 gegen seinen langjährigen Kontrahenten und Cousin Michael Fischer. Denn der war drin und brachte ihm den Sieg.

 

Trägt Becherer seine Hörgeräte nicht, müsse man ihm richtig laut ins Ohr schreien. „Sonst reagiere ich nicht. Ich höre nur etwas mit den stärksten Geräten, die es auf dem Markt gibt“, erzählt er. Diese Hilfsmittel trägt er normalerweise auch beim Golfen. So lange es das Wetter zulässt. Denn bei Regen muss er die Hörgeräte absetzen und vor Nässe schützen. „Die nächsten Löcher plötzlich geräuschlos weiterspielen zu müssen, ist nicht ganz ohne“, sagt der Oberstdorfer. Einerseits gibt es keine störenden Einflüsse von außen, andererseits ist man vollkommen in seiner eigenen Welt abgekapselt. Wenn plötzlich alle Geräusche, die einem das Hörgerät vermittelt, weg sind, ist das mental enorm kräftezehrend. Allen John, ein Kollege Becherers aus der Gehörlosen-Nationalmannschaft, hat das einmal so erklärt: „Man fühlt sich ein wenig wie ein U-Boot unter Wasser.“ Becherer sieht im Spiel ohne Hörgeräte sogar einen gewissen Trainingseffekt. Er empfiehlt: „Wer neugierig ist, wie sich ein geräuschloser Golfschlag anfühlt, der sollte sich einfach zwei Ohrenstöpsel oder einen Gehörschutz besorgen und das auf der Driving Range selbst ausprobieren. Ist definitiv anders.“

Am liebsten ist er in Oberstdorf unterwegs

Am liebsten dreht der Allgäuer seine Runden daheim auf der Anlage des Golfclubs Oberstdorf, dem südlichsten Golfplatz Deutschlands. In seinen Erzählungen kommt er schnell ins Schwärmen: „Ich glaube, nirgendwo ist es so ruhig auf einem Golfplatz. Und die Natur ist im Einklang mit unserem Sport. Außerdem gefällt mir die lockere, familiäre Atmosphäre, die alle Klischees eines elitären und teuren Sports widerlegt.“

Fotos: Michael Fischer