Der Spagat zwischen Tradition und Innovation

1893. Diese Zahl verpflichtet. Groß prangen die vier Ziffern auf dem Wappen an der Einfahrt zum Klubgelände. Nirgendwo in der Schweiz hat der Golfsport eine so lange Geschichte wie im Engadin Golf Club. Vor fast 130 Jahren wurde der Platz in Samedan, unweit der mondänen Tourismus-Hochburg St. Moritz, eröffnet. Der Engadine Golf Club ist damit der älteste Golfclub des Landes. „Wir sind natürlich sehr stolz auf diese lange Tradition. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal, das uns niemand nehmen kann“, sagt Ramun Ratti, der Geschäftsführer der Engadin Golf St. Moritz AG

Und er legt einen ziemlich vielsagenden Satz nach: „Erinnere dich zu jederzeit an die Wurzeln, aber verschließe dich nicht der Zukunft.“ Worte, die wie keine anderen den riesigen Spagat verdeutlichen, den sie in St. Moritz zu meistern haben. Den Spagat zwischen Tradition auf der einen und Innovation auf der anderen Seite. Golf, sagt der Geschäftsführer, sei ein Gentleman-Sport. Das müsse man pflegen. Auch mit der entsprechenden Etikette. „Aber wir dürfen dabei nicht vergessen, dass wir auch modern sein müssen, um im Wettbewerb der heutigen Zeit bestehen zu können“, meint er.

Das sagt ein Traditionalist wie Ueli Lamm

Ueli Lamm nickt zustimmend. Er ist 73, spielt schon seit 1960 auf dem Platz in Samedan Golf. Damals war er selbst noch ein junger Bursche, war mit der Schweizer Auswahlmannschaft bei großen Turnieren unterwegs. Heute blickt er staunend auf den Golf-Nachwuchs im Engadin, der auf der Driving-Range die kleine weiße Kugel scheinbar mühelos auf 300 Meter nach draußen jagt. Lamm sagt: „Es hat sich im Golfsport in den vergangenen 60 Jahren sehr viel verändert. Auch bei uns in St. Moritz.“ Lamm liebt das Traditionelle. Wenn er über die Historie des Klubs erzählt, von berühmten Gästen wie dem Duke of Windsor, James-Bond-Darsteller Sean Connery oder Major-Sieger Bob Charles, kann man ihm stundenlang lauschen, ohne dass es dabei irgendwann langweilig werden würde. Der Senior kennt unzählige Anekdoten und so ziemlich jedes Detail der Meilensteine in der Engadiner Golf-Geschichte. Er schwärmt von seinem eigenen, kleinen Golf-Shop, den er einst in der alten Caddyhütte hatte, und vom ersten Klubhaus, das auf der Anlage stand. Einem schmucken Holzbau, der vor gut 40 Jahren dem jetzigen Gebäude weichen musste. Und inzwischen ist auch das in die Jahre gekommen. „Es ist wieder ein aktuelles Thema“, sagt Ratti. 

Wie viel Moderne passt zum Club mit der langen Geschichte?

Denn in den Überlegungen und Planungen für ein neues Klubhaus geht es generell auch um die Frage: Wie viel Moderne passt zu dieser größtenteils noch immer so natürlichen Golfanlage, auf der sogar noch bis zu 700 Jahre alte Lärchen wachsen? Wenn es nach dem Geschäftsführer geht, darfs durchaus ein bisschen mutiger sein. Innovation, sagt er, habe immer auch etwas mit Leidenschaft zu tun. Sie sehen sich hier als leidenschaftliche Golfer, als leidenschaftliche Gastgeber. „Wir sind schon immer ein offener Golfklub“, sagt er. Und das liegt, wen wundert’s, an der Geschichte. Denn es waren keine Einheimischen, die Ende des 19. Jahrhunderts urplötzlich Lust auf Golf hatten. Ein paar Briten legten im Sommer 1889 zusammen mit dem ortsansässigen Hotelier Caspar Badrutt in St. Moritz einen 9-Loch-Golfplatz an, um auch in den Bergen Golfbälle schlagen zu können. Mittlerweile gehören mit dem altehrwürdigen Kurs in Samedan und dem 2003 eröffneten Platz im benachbarten Zuoz-Madulain zwei attraktive 18-Loch-Anlagen zum Engadine Golf Club, pro Saison werden rund 33.000 Runden gespielt. Eine Hälfte davon von den 1350 Mitgliedern, die andere von Gästen. 



Letztere kommen gerne. Und immer wieder. Quer durch alle Altersklassen und unterschiedliche soziale Schichten. An der Tradition kommen sie nicht vorbei. Schon gar nicht im Klubhaus in Samedan mit seinem Kaminzimmer, der Whiskeybar und edlen Zigarren. Dort sind auch noch Schild und Pokal der Engadin Amateur Championship aufbewahrt. 1895 wurde das Turnier zum ersten Mal ausgetragen – und es gehört auch über 120 Jahre später noch zum Wettspielkalender des Klubs. Aus dem rauen Linkscourse der Anfangsjahre ist zwar inzwischen eine gepflegte Parkland-Anlage samt Bewässerungssystem geworden, die meisten Grüns sind aber noch nahezu ursprünglich aufgebaut. „Weit entfernt von modernen Greens“, meint Ratti schmunzelnd. Aber das stört hier niemanden. Wer in Samedan abschlägt, macht das ganz bewusst. Zum Beispiel die Hickory-Golfer um Ueli Lamm. 

Hier die Hickory-Golfer, da die moderne Skybar über den Dächern

Seit etwa zehn Jahren ist er großer Fan dieser ursprünglichen Golf-Variante, die mit klassischen Holzschlägern und alten Regeln gespielt wird. Und freilich auch im stilechten Outfit mit Knickerbocker und Rautenmuster. Lamm sagt: „Ich liebe diese Herausforderung. Die alten Schlägermodelle verzeihen keine Fehler. Man muss exakt treffen, um Längenverluste und Streuung des Golfballs zu vermeiden. Golf ist auf diese Weise noch gemütlich.“ Das moderne, zeitgemäße Equipment packt er hingegen inzwischen nur noch selten aus. Lamm schätzt es sehr, dass man im Engadin noch immer Platz für dieses Stück Golf-Nostalgie schafft. An anderen Tagen dröhnt dann wieder laute Musik aus den Lautsprechern bei einer jungen Turnierserie. Es gibt Gin-Eis am ersten Tee und rosarote Gummi-Flamingos, die aufgeblasen neben dem Bunker stehen. 

 

Was für ein Kontrast. Dominik Zurbrügg findet das gut. Er spielt selbst regelmäßig im Engadine Golf Club. Zurbrügg ist aber auch Hotelier, hat das Sagen im Art Boutique Hotel Monopol mitten in der Fußgängerzone von St. Moritz. Tradition und Innovation begleiten ihn seit Jahren im geschäftlichen Alltag. Das Vier-Sterne-Haus ist über 100 Jahre alt. „Wir streben mit all den Umbauten und Renovierungen aber immer auch nach einem jungen und lässigen Image“, sagt Zurbrügg. Traditionell ist im Haus vor allem der gesamte Serviceaufbau. Die Strukturen im Restaurant sind noch recht hierarchisch aufgebaut, es gibt einen Maitre d’Hotel. Einen, der ausschließlich für das Wohl der Gäste da ist. Denen wird aber auch im Monopol moderne Küche angeboten. Innovatives findet man im Art Boutique Hotel an vielen Ecken und Enden, seit kurzem auch auf dem Dach: die erste und bislang einige Skybar des Ortes, hoch oben über den Dächern der vielen noblen Fünf-Sterne-Hotels. Zurbrügg meint: „Gott sei Dank hatten wir da den richtigen Riecher. Ich frage mich immer wieder mal, warum eigentlich nicht früher jemand auf die Idee gekommen ist, eine Bar auf dem Dach eines Hotels zu bauen.“ Früher waren an selber Stelle Massageräume. Der  Mut zu Neuem habe sich längst ausgezahlt. In St. Moritz ist das noch längst nicht überall so. Die Gäste aus aller Welt stört das nicht. Noch nicht. Hauptsache Jetset, Hauptsache Glamour. Zurbrügg findet aber, die Grundhaltung „Never change a winning team“, das Festhalten an ursprünglichen Strategien, sei zu einfach. „Wenn der Zug mal abgefahren ist, ist es schwer, wieder hinterherzukommen“, sagt er.

Der Golfclub baut auf Social-Media-Strategien

Das weiß auch Ramun Ratti. Denn bei allem Traditionellen, bei allem Respekt vor der bewegten Geschichte des Golfklubs, hat er den nächsten Schritt stets im Blick. Der Engadine Golf Club hat beispielsweise ein Trainingscenter auf technologisch höchstem Niveau, umfangreiche Kurse werden angeboten. Es geht um Spin-Rates, Launch-Angles und Smash-Factor. Auch in den kalten Monaten, und davon gibt es im Engadin jede Menge, kann an Schwung und Technik mit Trackman und Foresight gearbeitet werden. Oder mit Robo-Golf, der einzigen Maschine dieser Art in der Schweiz, mit der physisch der perfekte Schwung ausgeführt werden kann. Mit eigenen Schlägern. All das teilen Ratti und seine Kollegen gerne der ganzen Golf-Welt mit. Wie es sich für einen erfolgreichen Klub gehört, freilich auch in den sozialen Netzwerken. Noch so eine Brücke in die Moderne. Der Geschäftsführer sagt: „Social Media hat einen sehr großen Stellenwert bei uns. Für die Kommunikation und Identifikation mit den Gästen und Mitgliedern ist das in der heutigen Zeit unabdingbar.“ Und da stimmt ihm sogar Ueli Lamm zu. „Das kann man schon machen. Man darf sich solchen Dingen nicht verschließen. Traditionen hin oder her“, sagt er 73-Jährige.

 

Fotos: Cyrus Saedi, Ueli Lamm, Stephan Schöttl/alpengolfer.ch