Eisen 7 auf acht Uhr: Faszination Blindengolf

Hast Du schon einmal ausprobiert, wie es ist, mit geschlossenen Augen Deinen Driver zu schlagen? Kerzengerade noch dazu? Dafür braucht man definitiv eines:  sehr, sehr viel Gefühl. Für Karin Becker ist das bei jeder ihrer Golfrunden Alltag. Die 43-jährige Innsbruckerin ist hochgradig sehbehindert. Den Golfball, sagt sie, nimmt sie nur als "kleinen weißen Fleck" wahr. Und trotzdem ist Karin Becker richtig erfolgreich. Die Österreicherin ist eine der besten Blindengolferinnen der Welt.

Ganz langsam und hoch konzentriert schreitet Karin Becker die kurze Strecke auf dem Grün ab. Sie zählt dabei ihre Schritte, macht auf diese Weise die Entfernung zwischen ihrem Golfball und dem Loch aus. Fast auf den Zentimeter genau. Mit den Füßen tastet sie dabei immer wieder den Boden ab. Auf der Suche nach versteckten Breaks. Dann geht sie, begleitet von ihrem Guide, zurück, holt aus – und der Putt sitzt. Beckers Flightpartner staunen immer wieder. Über diese Sicherheit, über dieses besondere Gefühl, über diese sportliche Höchstleistung.

Denn während sie mühevoll und oft lange versuchen, Breaks korrekt zu lesen und der Putt dann im wahrsten Sinne des Wortes doch zur Hängepartie wird, ist ihre Mitspielern fast blind. Das Sehvermögen der 43-jährigen Vorarlbergerin, die in Innsbruck lebt, beträgt zwischen sechs und sieben Prozent. Golfbälle, sagt sie, nehme sie beispielsweise nur als „kleine weiße Flecken“ wahr. Ihre Geschichte liest sich beeindruckend. 

Ausgesprochen sportlich ist sie schon als Kind

Ausgesprochen sportlich ist Karin Becker schon als Kind. Das Mädchen nimmt seine Umwelt aber noch ganz anders wahr. Die vielen Farben der Natur, die Schönheit der Alpen. Dann folgt der Schicksalsschlag im Jahr 1992. Becker ist 20 Jahre jung, als sie fast ihr komplettes Augenlicht verliert. Aufgrund eines Gendefekts ist sie plötzlich

hochgradig sehbehindert. Doch Becker zeigt Stärke, lässt sich davon nicht von ihrem großen Hobby, dem Sport, abbringen. Sie fährt weiter erfolgreich Ski und traut sich wenig später sogar an eine neue Herausforderung: das Golfspiel. Sie findet im Golfclub Seefeld-Reith schnell eine sportliche Heimat. „Weil ich den Platz von Innsbruck aus auch mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen kann“, erklärt Becker. Das sei für sie ein besonders wichtiges Kriterium. Heute hat sie Handicap 27 und blickt auf ihre bislang erfolgreichste Saison zurück. Die Innsbruckerin wurde heuer zum zweiten Mal hintereinander Österreichische Staatsmeisterin für Golferinnen mit Behinderung, sie gewann die Austrian Blind Open genauso wie die Italian Blind Open im Golfclub Barlassina bei Mailand. Bei den prestigeträchtigen British Blind Open in Schottland wurde sie Zweite. „Ja, es lief dieses Jahr nicht schlecht für mich“, meint sie ganz bescheiden.


Regelmäßiges Training gehört auch für Karin Becker zum Golf-Alltag (Fotos: Becker)


Doch Karin Becker ist nicht nur Österreichs Aushängeschild und eine der besten Blindengolferinnen der Welt. Sie sieht sich selbst auch als eine Art Botschafterin für den Behindertensport im ganzen Land. „Ich veranstalte immer

wieder Schnuppertage für Interessierte und kümmere mich um entsprechende Fördergelder“, sagt sie. Beim Österreichischen Golf-Verbands (ÖGV) sitzt die 43-Jährige in einem speziellen Gremium, das sich um die Belange der Golfer mit Behinderung kümmert. „Das Projekt steckt noch in den Kinderschuhen. Es gibt so viele Blinde, die gar nicht wissen, dass sie trotz ihrer Einschränkungen Golf spielen können“, erzählt Becker. Golf sei in dieser Hinsicht aber ohnehin noch eine Randsportart, weit hinter der Leichtathletik oder dem Laufsport etwa. Der ÖGV geht aber mit gutem Beispiel voran. Über Inklusion wird in der Verbandszentrale nicht nur diskutiert. „Die Behindertensportler sind komplett im ÖGV integriert und nicht in einem eigenen Verband ausgelagert“, sagt Karin

Becker.

 

Am Golfsport liebt sie besonders die Unberechenbarkeit. „Jede Runde ist anders, jeder Tag bringt neue Herausforderungen“, meint sie. Herausforderungen, die bei sehbehinderten Sportlern die gleichen sind wie bei sehenden. Doch während so mancher ihrer Flightpartner nach einem verkorksten Abschlag fluchend sieht, wie die kleine weiße Kugel nach rechts in Richtung Rough saust, hat Karin Becker das im Gefühl. In diesem Fall im Gehör. „Wenn ich geschlagen habe, höre ich sofort, ob es perfekt war oder der Ball nach links beziehungsweise rechts weggeht“, erklärt sie. Und dieses besondere Gespür für Ball und Schläger zieht sich über die gesamte Runde.  

"Wir sind beste Freunde"

Karin Becker spielt übrigens auch sehr gerne fremde Plätze. Weil sie ihren Heimatplatz in Seefeld in- und auswendig kennt und anderswo „viel mehr auf den Guide hört“. Ein sprechendes GPS-Gerät sagt ihr die Entfernungen an. Zum nächsten Wasserhindernis zum Beispiel, bis zum Dogleg oder der Mitte des Grüns. Dann verlässt sie sich auf ihre Schlagroutine. Die ehrgeizige Sportlerin stellt sich eine Uhr vor – und holt entsprechend aus. Sie sagt: „Wenn ich mit einem Pitching-Wedge 50 Meter weit schlagen will, hole ich bis acht Uhr aus, bei zehn Uhr komme ich 75 Meter weit.“ Vor einem Abschlag wird sie zunächst von ihrem Guide Markus Huber ausgerichtet, dann folgt ein Probeschwung anhand dessen wiederum Huber den Ball entsprechend aufteet. Den Schlag führt die Golferin wieder selbst aus. Dann ist der Ball aber auch erst einmal weg, Entfernungen kann Becker nicht alleine einschätzen. Wichtig, erzählt sie, sei daher auf jeden Fall ein guter Draht zum persönlichen Guide. Quasi blindes Vertrauen. „Man sollte auf jeden Fall gut miteinander auskommen. Wir sind beste Freunde“, sagt die 43-Jährige. Und dieses Verhältnis nimmt selbst dann keinen Schaden, wenn Karin Becker wieder einmal eine Runde gegen ihren Guide und Caddy gewinnt.